Vielseitig, bekömmlich und immer hungrig: Wissenswertes rund um Sauerteig

Sauerteig lockert den Teig und verleiht Broten und Backwaren ein abgerundetes Aroma. / © iStock.com/innazagor

 

„Sauer macht lustig“ lautet eine bekannte Redewendung. Im Falle eines beliebten natürlichen Triebmittels müsste es aber eher heißen „sauer macht luftig“, denn es sorgt zuverlässig für gut gelockerte Teige. Darüber hinaus verbessert es den Geschmack und die Bekömmlichkeit von Gebäcken und eignet sich je nach Zusammensetzung auch für Menschen, die kein Getreide vertragen. Die Rede ist von Sauerteig. Wir haben uns das Multitalent für die professionelle Backstube für Sie etwas genauer angeschaut.

1.     Biochemie in der Backstube, oder: Was ist eigentlich Sauerteig?

Sauerteig wird mit Mehl und Wasser angesetzt und entsteht durch Fermentation. Bei diesem biochemischen Prozess werden organische Stoffe durch Mikroorganismen in Säuren, Gase oder Alkohol umgewandelt. Im Falle von Sauerteig wandeln Bakterien und Hefen Stärke in Milch- und Essigsäure um. Dafür muss man die Bakterien und Hefen nicht extra zusetzen, denn sie sind von Natur aus im Mehl und Wasser enthalten. Man muss sie jedoch aktivieren und dafür sorgen, dass sich die richtigen Stämme vermehren. Aber dazu später mehr.

 

2.     Trendy und bekömmlich

War Fermentation früher ein probates Mittel zur Haltbarmachung von Lebensmitteln, ist sie heute einer der Hauptgründe, warum Sauerteig wieder im Trend ist. Denn fermentierte Lebensmittel wirken sich aufgrund ihrer leichten Säure positiv auf unsere Darmmikrobiota aus und sind besonders bekömmlich. Neben Sauerteigbrot kommen daher bei vielen Verbrauchern gern auch Joghurt, Kefir, Sauerkraut und Kimchi auf den Tisch, bisweilen sogar selbst zubereitet.

 

3.     Backen mit Sauerteig – früher und heute

In der Backstube ist Sauerteig eine wertvolle Zutat. Die Gründe dafür haben sich über die Jahre jedoch ebenso gewandelt wie die Bedeutung der Fermentation. Ursprünglich wurde Sauerteig mit Roggenmehl angesetzt und machte dieses erst backfähig. Ohne die Säure konnte sich aufgrund der Enzymaktivität kein stabiles Klebergerüst entwickeln. Der Teig ging nicht auf; eine lockere Krume war undenkbar. Dank der Züchtung moderner Roggensorten mit geringerer Enzymaktivität lassen sich heute auch ohne Sauerteig gute Backergebnisse erzielen – aber für Geschmack, Aroma und Frischhaltung ist das Triebmittel nach wie vor wichtig.

Mittlerweile ist Sauerteig aus anderen Mehlen ebenfalls gang und gäbe. Für mediterrane Gebäcke wie Ciabatta wird etwa gern ein milder Weizensauerteig eingesetzt. Ursprüngliche Gebäckkreationen erhalten das gewisse Etwas durch Dinkel- oder Emmersauerteig. Des Weiteren findet das natürliche Backmittel verstärkt bei Croissants und Feinen Backwaren Verwendung. Ihnen einen besonderen Geschmack zu verleihen, gehört dabei ebenso zu seinen Aufgaben wie die Teiglockerung und die Erhöhung des Gebäckvolumens. Letzteres gelingt dank des Kohlenstoffdioxids, das im Zuge der Fermentation entsteht. Ganz nebenbei erleichtert Sauerteig durch trockenere Teige und eine höhere Gärstabilität zudem die Arbeit in der Handwerksbäckerei.

4.     Gebäckgenuss trotz Unverträglichkeiten

Die zunehmende Varianz bei Sauerteigen kommt auch Verbrauchern zugute, die aufgrund von Unverträglichkeiten auf klassische Brot- und Gebäckspezialitäten verzichten müssen. So lassen sich aus Rohstoffen wie Mais, Reis, Buchweizen oder Hirse glutenfreie Sauerteige herstellen – für Brote mit würzigem Aroma, die in Struktur und Textur überzeugen.

 

5.     Sauerteig ansetzen und führen

Um Sauerteig anzusetzen, mischt man Mehl und Wasser zu gleichen Teilen und lässt die Mischung stehen. Dadurch werden die Mikroorganismen im Mehl zum Wachsen angeregt und die Fermentation beginnt. Anschließend füttert man den Ansatz mit Mehl und Wasser und lässt ihn erneut stehen. Dieser Prozess wird mehrfach wiederholt, wobei nach einigen Zyklen nur noch ein Teil des Ansatzes angefrischt und der Rest entsorgt wird. So erhält man mit etwas Geduld einen aktiven Sauerteigstarter, der angenehm riecht und Blasen wirft. Dieser Starter bildet die Grundlage für die Weiterführung des Sauerteigs, mit dem sich ab sofort aromatische Gebäcke kreieren lassen.

In der Handwerksbäckerei kommen für die Herstellung und Führung von Sauerteig verschiedene Varianten infrage, je nach Betriebsgröße, Arbeitsabläufen und Firmenphilosophie. So können Sie Sauerteige etwa im Kneter oder in der Rührmaschine ansetzen, sie über eine Anlage oder per Hand führen. Verbreitet sind unter anderem die Detmolder Dreistufen-Führung, die Berliner Kurzsauerführung oder das Monheimer Salzsauerverfahren, um nur einige zu nennen.

 

6.     Ein sensibler Geselle

Mehl, Wasser und Zeit – um Sauerteig anzusetzen, braucht es im Grunde nicht viel. Damit sich die richtigen Bakterien vermehren und ein aktiver, wohlriechender Sauerteig entsteht, gilt es jedoch einiges zu beachten, denn Sauerteig ist ein sensibler Geselle:

  • Ein guter Sauerteig beginnt beim Rohstoff. Egal, ob Roggen, Weizen oder ein anderes Getreide: Am besten eignet sich Vollkornmehl. Da darin auch die Randschichten der Körner vermahlen wurden, enthält es die meisten Nährstoffe und bietet damit beste Voraussetzungen für den Fermentationsprozess.
  • Hygiene ist das A und O, damit die richtigen Bakterien wachsen. Wichtig sind sauberes Werkzeug und saubere Gefäße ebenso wie saubere Hände und sauberes Wasser.
  • Die Rahmenbedingungen wie Fütterungsturnus und Temperatur müssen passen. Letztere wirkt sich dabei auf das Ergebnis aus: je wärmer die Umgebung, desto milder der Sauerteig.
  • Sauerteig ist ein Gewohnheitstier, das Schwankungen schnell übel nimmt. Hat man die Rahmenbedingungen wie Temperatur, Fütterungszeiten und Anfrischverhältnis einmal eingestellt, sollte man diese möglichst konstant halten.
  • Als Alternative zum eigenen Anstellgut kann sich auch die Verwendung eines zugekauften Starters anbieten. Das erhöht die Prozesssicherheit.

 

7.     Gute Bakterien – schlechte Bakterien

Wir haben viel darüber gesprochen, dass beim Ansetzen von Sauerteig „die richtigen Bakterien“ wachsen müssen. Aber welche sind das eigentlich? Für angenehm säuerlichen Geruch sind vornehmlich Milchsäurebakterien verantwortlich. Sie zählen zu den „Guten“, die man gern vermehren möchte. Dabei ist Bakterium nicht gleich Bakterium: Je nachdem, welche Kulturen dominieren, kann ein Sauerteig ganz unterschiedlich riechen – mild, etwas kräftiger oder sogar leicht blumig. Gewinnen hingegen unerwünschte Bakterienstämme die Überhand, kippt der Geruch und kann mitunter an faule Eier erinnern. Das ist während der Sauerteigherstellung nicht ungewöhnlich. Bleibt der Geruch aber unangenehm, sollte man die Parameter prüfen und bei Bedarf nachsteuern. Bildet sich Schimmel, muss man mit einem neuen Sauerteigansatz von vorn beginnen.


8.     Eine Frage des Charakters

Ist der Sauerteig einmal angesetzt und wird kontinuierlich gefüttert, gepflegt und genutzt, bleibt er über Jahre oder sogar Jahrzehnte aktiv und leistet in der Backstube zuverlässig gute Dienste. Dabei entwickelt jeder Sauerteig seinen ganz eigenen Charakter. Mit Ihrem betriebseigenen Sauerteig können Sie Ihren Gebäcken entsprechend ein individuelles Geschmacks- und Aromaprofil verleihen und sichern sich so ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber Ihren Wettbewerbern.

9.     Das Wichtigste in Kürze

  • Sauerteig entsteht durch Fermentation. Er ist ein natürliches Triebmittel und erfüllt in der Handwerksbäckerei verschiedenste Aufgaben. So sorgt er für gut gelockerte Teige, verbessert Geschmack, Aroma und Bekömmlichkeit sowie die Frischhaltung von Gebäcken. Je nach Zusammensetzung eignet er sich auch für Menschen, die kein Getreide vertragen.
  • Mehl, Wasser und Zeit: Das sind die Grundzutaten für einen Sauerteig. Ansatz und Pflege sind im Grunde recht einfach, aber Sauerteig ist sensibel und reagiert negativ auf ungünstige oder schwankende Rahmenbedingungen. Damit sich ein aktiver, wohlriechender Sauerteig entwickelt, sind Konstanz und Fingerspitzengefühl gefragt.
  • Jeder Sauerteig hat seinen eigenen Charakter. Mit Ihrem betriebseigenen Sauerteig können Sie Ihren Gebäcken ein besonderes Geschmacks- und Aromaprofil verleihen und Ihre Individualität als Handwerksbäcker hervorheben.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichten wir auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d). Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

10.     Quellen

  • Bäcker Zeitung, Fachthema „Aromatherapie“, Ausgabe 4/2018, S. 8-11
  • Wissensforum Backwaren, Klartext Backzutaten, Podcast „Folge 2 – Sauerteig“, https://klartext-backzutaten.de/podcast/
  • Wissensforum Backwaren, Klartext Backzutaten, „Sauerteig – ein Triebmittel zwischen Tradition und Trend“, https://klartext-backzutaten.de/sauerteig-ein-triebmittel-zwischen-tradition-und-trend/ 

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